An der Universität Potsdam kommt in diesem Sommer ein Projekt in Bewegung, dass ich schon lange auf meiner Wunschliste habe: Eine Regelung für die Lehrverpflichtung  (auch: „Deputatsregelung“) auf den Weg zu bringen, welche die Gleichwertigkeit von Online-Lehre und Präsenzlehre klarstellt. Das soll denjenigen Lehrenden helfen, die vor der Frage stehen, „Kann ich mit Online-Formaten meine Lehrverpflichtung erfüllen oder darf ich es nur als Zusatzangebot bereitstellen?“ – die Praxis ist hier vielfach schon weiter, gleichzeitig herrscht bei vielen Lehrenden Unsicherheit darüber.  Die Hoffnung ist, dass durch die Klarstellung der grundsätzlichen Möglichkeit, E-Learning als „vollwertige“ Lehre zu berechnen, sich mehr Lehrende für komplexere Szenarien interessieren und diese einsetzen. Auch bei uns stellt sich die Lage so dar, wie sie dem Hörensagen nach (öffentliche Zahlen dazu sind Mangelware) in den allermeisten anderen Hochschulen vorliegt. Das heisst neun Zehntel der E-Learning-Nutzung besteht aus der Verbreitung von Ressourcen und Nachrichten (was btw. *nicht* „Blended Learning“ ist…), die interaktions- und aktvitätsorientierte Nutzung der Technologien bleibt marginal.
Typisch für so ein E-Learning Vorhaben in der Hochschule ist die Verbindung von zwei Fragestellungen die gleichzeitig gelöst werden müssen:

  • Einmal ist da die Frage nach der Gleichwertigkeit von Präsenz und Online-Lehre. Damit direkt verbunden ist die Frage nach der Qualität von Lehre überhaupt, deren Definition, Operationalisierung und Evaluation.
  • Zum anderen geht es um die Frage wie im Handlungsfeld einer Hochschule die Regelungs- und Steuerungsmechanismen aussehen, durch welche eine Änderung in der Organisation stattfindet und wie man diese in Bewegung setzen kann.

Die Deputatsregelung berührt also die Kernfrage, wie Qualität im (= „für und durch“)  E-Learning mit den Mitteln der hochschulischen Organisation hineingetragen, gefestigt, mehrheitsfähig und zu gelebter Praxis gemacht werden kann.

Die Gleichwertigkeit von Präsenz und Online-Lehre

Die ehrlichste aber unbefriedigendste Antwort auf die Frage: „Ist E-Learning genauso gut wie Präsenzlehre?“ lautet „Es kommt drauf an.“ Zumindest scheint das das Ergebnis der meisten Versuche, generelle Aussagen zur „Wirksamkeit“ von E-Learning zu machen. Und es ist ja auch schlicht evident, dass die Qualität einer Lehrveranstaltung nicht am Einsatz von Medienformaten und medienspezifischen Methoden festgemacht werden kann. Und sowieso eigentlich nicht gemessen werden kann. Und schließlich wissen wir das auch alle.
Allerdings erzeugt diese offenkundige Antwort ebenso evidente Folgefragen, beispielsweise  „Auf was kommt es dann an?“, „Wie lässt sich dieses Etwas beschreiben und können Kriterien und Indikatoren identifiziert werden?“. Schließlich: „Kann aus der Beschreibung von Qualität eine Empfehlung zum Erreichen von Qualität
abgeleitet werden? Was hilft, was schadet?“ und  „Wenn nicht aus der Theorie, dann vielleicht aus Erfahrungen abgeleitet?“ oder „Macht es dann überhaupt Sinn das Medienformat als Differenzierungskriterium für Lehre anzusetzen?“ Das sind leider recht unbequeme Fragen an die Mediendidaktik, denn diese muss einerseits wissenschaftlich redlich erwidern „Das sind komplexe Fragestellungen die auch komplexe Antworten erfordern.“ anderseits sind komplexe Antworten erschreckend unpopulär…

Die Crux mit der Qualitätsentwicklung im E-Learning

Diese Crux ist eine zweifache

  1. Zum einen kann man kann nicht über die „Qualität des E-Learning“ sprechen ohne über die „Qualität der Lehre“ zu sprechen. Leider ist dies ein Feld in dem Interessengruppen, Theoriebildung, Praxisansätze und Bildungspolitik ein undurchschaubares Dickicht bilden. Selbst wenn man das „Primat der Didaktik“ voll anerkennt, bleibt man doch eher ratloser als vorher zurück.
  2. Zum anderen ist E-Learning selber ein Schauplatz des „medialen Paradigmenkonflikts“ (Frederking 2008 mit Verweisen auf Thomas Kuhn und Vilém Flusser) was so viel bedeutet, dass wir alles was wir bislang über den Zusammenhang von Bildung und Medien, Bildungsmedien und Medienbildung denken, induktiv-intuitiv ableiten oder „einfach wissen“ kritisch befragen sollten (und dürfen!).

 

Hatten wir das nicht schon längst?

Mir kommt die Qualitätsdiskussion im E-Learning inzwischen etwas „ermattet“ vor. Einerseits ist mit dem „Qualitätspakt Lehre“, mit der „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ und anderen, mit dem Label Qualität versehenen Projekten, Förderlinien und Initiativen die Qualitätsfrage scheinbar allgegenwärtig. Und E-Learning wird allenthalben in vielen dieser Projekt fokussiert. Eine aktuelle Qualitätsdiskussion sucht man aber in diesen Zusammenhängen mit wenig Erfolg. Wenn es U.D. Ehlers nicht geben würde, dass darf ich nach recht intensiver Literaturrecherche behaupten (und der nämlich die „kopernikanische Wende“ für die Qualitätsentwicklung im E-Learning unermüdlich propagiert, vgl. Kuhn, Brecht, Kepler), dann würden wir vermutlich noch im Sumpf von SCORM, PAS und EFQM herumrudern. Das das Thema Qualität vielleicht eine Renaissance erhält, zeigt sich aber zum Beispiel auch an der Thematisierung auf dem ecamp dieses Jahr in Hamburg.

 

Qualität trotzdem machen?

Akzeptiert man die offenen Fragen, dann verbleibt als Handlungsoption ein empirisches Programm zu verfolgen, etwas auszuprobieren und sich mit großen, vorsichtigen Schritten (kleine Schritte führen u.a. dazu, dass man sich leicht auf den eigenen Füßen steht…) vorzutasten.
E-Learning bzw. Online-Lehre in der Hochschule als Regelungsaufgabe in den Blick zu nehmen und einen organisationspolitischen und juristischen Konsens in der Universität dazu zu schaffen, scheint mir da als ein guter Schritt. Die beiden Crux- und Gretchenfragen, ob „E-Teaching gleichwertig zu Präsenzlehre ist“ und „Ob und wie E-Teaching (oder andere innovative Lehrformate) in das Regelschema der Hochschule passen“  lassen sich vermutlich nicht über Erfahrungswerte alleine lösen, aber die Erprobung im Feld kann kein Fehler sein.

Die Qualität von Lehre als Gegenstand der Steuerung und Regelung

Das erste Problem, dass sich einem stellt, wenn man sich die Regelungen zur Qualität von Lehrveranstaltungen und Lehrveranstaltungsformaten vornehmen will, ist: Sie existieren nicht oder aber sie sind gut versteckt. Was wird also geschehen, wenn man jetzt ein bestimmtes Format in den Blick nimmt und dafür Kriterien und Prozesse der Qualitätssicherung in Anschlag bringen will?
Es könnte dazu führen, dass sich eine umfassende Qualitätsdiskussion entwickelt. Es kann aber auch dazu führen, dass sich eine von allen geteilte Regelung zur Online-Lehre niemals entwickelt weil man gar nicht erst in den Begründungsdruck geraten möchte, warum eine entsprechende Regelung für die Präsenzlehre nicht existiert und ggf. auch gar nicht als notwendig erachtet wird.
In beiden Fällen bestätigt sich die Haltung vieler optimistischer E-Learning-PragmatikerInnen: An der Diskussion um die Digitalisierung der Bildung katalysieren und verschärfen sich allgemeine, die Bildung betreffende Fragen und bisher erfolgreich verdrängte Widersprüche erhalten Kontur: Wie steht es mit der Lernendenzentrierung, mit der Verbindung von Theorie und Praxis, mit der Kompetenzorientierung in der Lehre? Welche Bildungsziele verfolgt die akademische Ausbildung?

Die Schlussfolgerung ist, dass auch in die Steuerungs- und Regelfragen eine gehörige Portion Pragmatismus hineingehört. „Didaktische Beschwörungsformeln“ (H.v. Hentig) helfen ebenso wenig wie die Beschreibung von Hochschulen als „defizitäre Organisationen“ (Mormann, Willjes 2013).
Im Feld der praktischen Steuerung und Regelungen und Verordnungen gelten oft andere Regeln und Verhältnisse:

  • So macht es wenig Sinn, ein vielstufiges, reflexiv-formatives Beteiligungs- und Prüfverfahren zu entwerfen, wenn gleichzeitig klar ist, dass dieses wegen Zeitnot, Gremienflut und diskursivem Notstand bei den Akteuren keine Chance auf Akzeptanz und Umsetzung haben würde.
  • Auch die diagnostizierte „Lücke“ zwischen den Ergebnissen der Qualitätssicherung und der Rückkopplung auf das Handeln der Akteure ist eine noch ungelöste konzeptionelle Aufgabe: Das eherne Prinzip der Freiheit der Lehre duldet keine zentralen Eingriffe in die Gestaltung der Lehr-/Lernszenarien, Wir arbeiten also mit Appellen, Angeboten und hoffen auf unsere Überzeugungskraft.

Qualitätsmanagement und Qualitätssicherung entstammen nicht der akademischen Kultur, die auf die aufklärerisch-humanistisch begründete Identität von Erkenntnis, Wahrheit Wissenschaft und guter Lehre  rekurriert. Aus dieser Perspektive trifft die Feststellung von D.Lenzen zu: „Die [deutsche] Universität dient nicht entweder dem Individuum oder der Gesellschaft, sondern beiden dadurch, dass sie der Wissenschaft dient, die ihr einziger Zweck ist. So kann unterstellt werden, dass Individuum und Gesellschaft auf nicht näher zu beschreibende Weise von dieser Wissenschaft profitieren. Dann stellen sich auch die heute vielfach diskutierten Qualitätsprobleme des Personals, des Unterrichts und der Absolventen nicht. Denn, wenn die Leidenschaft für die Erkenntnis im Mittelpunkt steht, muss man sich über Qualität keine Gedanken machen.“ (Lenzen, Dieter, 2015, Eine Hochschule der Welt. Plädoyer für ein Welthochschulsystem. S. 31)

 

Also?

Die Deputatsfrage für E-Learning anzugehen ist ein Unterfangen, dass einerseits grundlegende Fragen der Qualität von Lehre und der Rolle von Medienformaten berührt. Wie sich gutes E-Learning realisieren lässt, ist schon ausgiebig beforscht, beschrieben und diskutiert worden. Bei der Lehrverpflichtungsverordnung geht es um die Frage für was und wie Technologie in der Hochschule konkret eingesetzt werden wird. Von dem Einzelnen und von der Organisation.

1 thought on “Qualitätsentwicklung im E-Learning durch Neuregelung des Lehrdeputats?

  1. Lieber Jörg,

    da nimmst Du Dich einer mir immer wieder über den Weg laufenden und mich dabei widerholt stolpern lassenden Frage an. Freue mich mehr darüber von Dir zu erfahren… es steht ja eh noch ein Treffen aus!

    Beste Grüße ans Neue Palais, auch an den anderen Teil der AG, von Benjamin

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