Ein Kommentar zu: Macgilchrist, Allert, Cerratto Pargman & Jarke (2023). Designing Postdigital Futures: Which Designs? Whose Futures?1
Im Rahmen eines Gesprächs über alternative, postdigitale Narrative zur Entwicklung digitaler Bildungstechnologien wurde ich von einer befreundeten Wissenschaftlerin auf das Papier „Designing Postdigital Futures“ aufmerksam gemacht. Meiner Meinung nach werden darin wichtige Themen und Denkansätze angesprochen, die für die weitere Diskussion zur Gestaltung von Bildungstechnologien relevant sind. Daher habe ich mir erlaubt, einen gründlichen Kommentar dazu zu verfassen. Nachdem meine Anmerkungen einige Wochen in meinem „Mach-mal-fertig“-Ordner gelegen haben, möchte ich nun meine Gedanken zu dem Text teilen.
Vorweg: Das Papier hat mich in weiten Teilen inspiriert, aber an einigen Stellen auch irritiert. Gemessen an den formulierten Ansprüchen nehme ich darin Leerstellen und weiterführende Fragestellungen wahr. Im Papier, das sich selbst als „Kommentar“ versteht, wird die vermeintlich vorherrschende „Ingenieurslogik“ in der Bildungstechnologie scharf kritisiert. Dies erscheint mir recht einseitig, und es wird nicht klar, wer oder was genau kritisiert wird. Sind EdTech-Unternehmen gemeint? Förderprogramme? Ansätze des Design-based Research oder des Design Thinking?
We explore alternative approaches to design that avoid the engineering logic predominant in education today.
Macgilchrist et al., 2023, S. 2
Gerade gestaltungsorientierte Ansätze verstehen sich doch eher als offene und reflexive Methoden. Ich stimme zu, dass die Definitionen und Aspekte von Macht, Wissen und Gerechtigkeit in Bildungsdiskursen stärker thematisiert werden müssen. Aber mir scheinen diese wichtigen Fragen unnötig auf das Design-Problem verkürzt. Es ist sicher richtig, alternative Ansätze wie „Respectful Design“ und „Transformative Justice“, die die Ermächtigung und Humanität in den Mittelpunkt stellen, stärker zu berücksichtigen. Die Frage, wie sich humane, transformative Aspekte von Bildung entfalten lassen, ist jedoch erstens so alt wie die Reflexion über Bildung und zweitens in allen Bildungskontexten relevant. „Design“, im Sinne der bewussten Gestaltung von Lehr-Lern-Arrangements, sei diese prä- oder postdigital, muss sich schon immer solchen Fragen stellen, und deren Beantwortung wird gerade für die Bewältigung der alltäglichen Praxis, bei der Gestaltung der „little Futures“ in Form von Orientierungen und Handlungsmustern, wirksam. Das wird im Papier gar nicht thematisiert.
Engineering approaches have made inroads into educational research and practice.
Macgilchrist et al., 2023, S. 2
Im Text wird ein kritischer Ton gegenüber Tech-Eliten und Anhängern solutionistischer Haltungen sichtbar. Weder Positionen noch Akteure werden jedoch explizit benannt. Daher bleibt die implizit postulierte Kraft des Designs, Lösungen zu schaffen, im Vagen. Wie soll sich ein alternatives Design gegenüber wem durchsetzen? Wenn die herrschenden Design-Prinzipien einen wesentlichen Teil des Problems darstellen, warum sollte dann ausgerechnet Design eine Lösung bereitstellen können?
Insgesamt fehlen mir in diesem Text klarere Aussagen dazu, wer genau für welche Handlungsweisen kritisiert wird, wie sich die verschiedenen Formen und Ebenen von „Design“ und „Ingenieurslogiken“ zueinander verhalten und warum ein anderer Designansatz ein Problem lösen soll, das aus der Design-Entwicklung entstanden ist.
Meinen ausführlichen Kommentar als PDF-Dokument findet sich unter diesem Link.
- Macgilchrist, Felicitas; Allert, Heidrun; Cerratto Pargman, Teresa & Jarke, Juliane Designing Postdigital Futures: Which Designs? Whose Futures? Postdigit Sci Educ (2023). https://doi.org/10.1007/s42438-022-00389-y [↩]