Bildungstechnologie ist ein zentraler Begriff, wenn es um die Digitalisierung der Bildung geht. Die in ihm enthaltenen Widersprüche und Isomorphien prägen den Fortgang der Entwicklung von Unterricht und Lehre in einer durchdigitalisierten Welt. Entscheidungen über Budgets für Forschung und Entwicklung, Einrichtung von Lehrstühlen und Instituten, Personal- und Organisationsentwicklung fallen unterschiedlich aus, je nachdem, welche Grundannahmen und Ausprägungen mit dem Einsatz von (digitaler) Technik im Bildungsbereich verknüpft werden.

Ein genauerer Blick zeigt aber schnell: Der Begriff ist von der Pluralität der Ansichten, vagen Verweisen auf das pädagogische Ganze oder tautologischen Definitionen geprägt.

„Educational technology is a complex, integrated process involving people, procedures, ideas, devices and organization for analyzing problems and devising, implementing, evaluating and managing solutions to those problems involved in all aspects of human learning.“ (AECT, 1977, S. 19)1

„Die Bildungstechnologie stellte den Versuch dar, Unterrichtsabläufe in schematische, formelhafte, generalisierbare Strukturen zu überführen und allgemein gültige Sätze über das Lernen zu formulieren.“ (Hof, 2018, S. 27)2

[Unter Bildungstechnologie verstehen wir eine] „Disziplin, die unterschiedliche Arrangements von Lernbedingungen, die Unterstützung des Erwerbs von Wissen und Können, die Beeinflussung von Motiven und Emotionen sowie die Funktionalität von Artefakten (insbesondere Medien) zum Zweck der Förderung von Bildungsprozessen […] erforscht und lehrt.“ (Niegemann und Weinberger, 2020, S. 4)3

Aber es ist gerade diese Beweglichkeit und Dynamik im Begriff, die ihn für mich so interessant macht. Wann wird eine Technologie zur Bildungstechnologie? Wie ist das Verhältnis von Technik und Bildung, Medien und Didaktik? Wann werden bspw. KI-gestützte Chat-Bots und Schreibhilfen zu einer „Bildungstechnologie“? Wie ist das Verhältnis zur Mediendidaktik? Und zur Informatik? Warum setzt sich die eine Technologie in der Bildung durch und die andere nicht? Wer entscheidet? Ist Bildungstechnologie innovativ? Oder ein „Trojanisches Pferd“ für fortschrittliche Mediendidaktiker*innen?

Dabei scheint sich der Diskurs zwischen verschiedenen, sich ausschließenden Positionen zu bewegen, die ich als sozio-deterministisch („das didaktische Konzept entscheidet“) und technik-deterministisch („technische Innovation treibt die didaktische Entwicklung“) kennzeichnen würde. Man könnte jetzt an diesem Punkt stoppen und sagen: „Okay, es gibt zwei theoretische Positionen und man müsste sich halt entscheiden – oder lässt es.“ Allerdings löst dieser epistemologisch-pragmatische Kompromiss die mit der Definition verbundenen, konkreten Fragen nicht. Nicht für die Lehrenden, die sich mit Technik auseinandersetzen, nicht für die Entscheider*innen, die ein Förderprogramm aufbauen, immer dann nicht, wenn es um Geld, Macht oder Fortschritt gehen soll.

Was also tun? Ich denke, es ist sinnvoll, nicht an den Widersprüchen und Ambivalenzen stehen zu bleiben, sondern aus der Situation zu lernen, dass es vielleicht einer anderen Sichtweise bedarf, um die „Einheit der Widersprüche“, die mit der Bildungstechnologie verbunden ist, besser zu verstehen. Aus meiner Sicht bedarf es dafür einer Sichtweise, wie sie in den sozio-materiellen Theorien und insbesondere der Akteur-Netzwerk-Theorie vorgeschlagen wird. Damit verbunden sind theoretische Grundannahmen und Forschungsstrategien, die sich grob so umschreiben lassen:

  • Eine sozio-technische Perspektive: Bildungstechnologie ist ein komplexes System von Menschen und Technik. Das ganze System ist in den Blick zu nehmen.
  • Eine praxeologische Perspektive: Bildungstechnologie entsteht aus der kollektiven Praxis vieler Beteiligter. Diese Praxis gilt es nachzuzeichnen.
  • Ein post-digitaler Blick auf Medien in der Bildung: Die Dichotomie von digital und analog ist obsolet. Bildungstechnologie ist nur die jüngste Ausprägung einer historisch langen, tiefen Verknüpfung von Technik und Bildung, von Medium und Didaktik. Hier müsste genauer in den Blick genommen werden, was die Digitalität in diesem geschichtlichen Verhältnis verändert hat.
  • Eine Akteur-Netzwerk-theoretische Position: Diese bedeutet für mich unter anderem, dass
    • menschliche und nicht-menschliche (z.B. technische) Akteure gleich behandelt werden,
    • keine „Abkürzungen“ zu Kategorien und Modellen genommen werden, wenn der innere Zusammenhang noch nicht deutlich ist,
    • das System immer in Bewegung ist, Akteure ständig agieren und reagieren, und das System deswegen immer auch auseinanderbrechen kann,
    • dass den Akteuren gefolgt werden muss, um verstehen zu können, wie sie gemeinsam ein System erzeugen.

Meine Hoffnung ist, durch Verfolgen dieser Perspektiven und das Abgleichen so entstehender Modelle mit der Erfahrung und den Diskursen, das Phänomen „Bildungstechnologie“ besser verständlich wird. Dabei ist mein Ziel nicht, das lebende kaleidoskopische Bild durch ein logisch-geometrisches Schema zu ersetzen. Ich möchte aber besser verstehen, wie die Spiegelungen, Brechungen und Facetten entstehen.


  1. AECT – Association for Educational Communications and Technology (Ed.). (1977). The definition of educational technology. AECT, Publ. Dep. []
  2. Hof, B. E. (2018). Der Bildungstechnologe. In S. Schenk & M. Karcher (Hrsg.), Überschreitungslogiken und die Grenzen des Humanen. (Neuro-)Enhancement – Kybernetik – Transhumanismus (Bd. 5, S. 27–51). epubli. https://www.pedocs.de/volltexte/2018/16105/ []
  3. Niegemann, H., & Weinberger, A. (2020). Was ist Bildungstechnologie? In H. Niegemann & A. Weinberger (Hrsg.), Handbuch Bildungstechnologie: Konzeption und Einsatz digitaler Lernumgebungen (S. 3–16). Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-662-54368-9_1 []

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