(Auch) die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) verlässt nun Twitter/X. Gut so. Dass sich nun aber Wissenschaftseinrichtungen Bluesky und LinkedIn zuwenden, zeigt, dass das Problem der Internetökonomie entweder noch nicht verstanden oder ignoriert wird. Die Twitter/X-Misere wird an einer falschen Governance festgemacht und nicht an den Strukturmerkmalen kommerzieller Plattformen.

Bekannt und nicht bekannt
Die DFG wird, so schreiben sie, „vor dem Hintergrund der allgemein bekannten Entwicklung die Plattform X, vormals Twitter, verlassen.“ (DFG verlässt Plattform X) „Allgemein bekannt“ als Grund klingt so, als wären Dinge vorher nicht bekannt gewesen. Das gilt vielleicht für Musk-Twitter/X aber nicht für das grundsätzliche Problem. „Zusammen mit den jüngsten tages- und parteipolitischen Äußerungen auf X ist nun für uns die rote Linie überschritten. Sie sind auch Angriffe auf die Werte, für welche die DFG steht und für die sie sich intensiv engagiert.“ (DFG verlässt Plattform X) Eine rote Linie war offensichtlich vorher nicht bekannt. Der Druck aus der Wissenschafts-Community scheint mir hier folgenreicher gewesen zu sein.
Was bekannt ist
Weiter heisst es bei der DFG „Zugleich sind wir weiter sehr an einer offenen und vielfältigen Meinungsbildung in den Social Media interessiert und werden uns dafür auch aktiv einsetzen. Deshalb wollen wir unser Engagement auf anderen und auch zusätzlichen Kanälen wie Bluesky und LinkedIn ausbauen. Unsere konkreten Aktivitäten werden dabei von der weiteren Entwicklung der einzelnen Plattformen und nicht zuletzt, so etwa bei Instagram, von der dahinterstehenden Governance bestimmt werden.“ (DFG verlässt Plattform X)
Hier fehlen ein paar notwendige Ergänzungen, meine ich:
- Wenn das Ziel die offene Meinungsbildung ist, müsste tiefergehender argumentiert werden: Wie kann es sein, dass sich die wissenschaftliche (und politische) Öffentlichkeit auf einmal in Gemeinschaft mit Rechten, Schwurbler*innen, Verschwörungstheoretiker*innen und anderen zwielichtigen Charakteren wiederfinden? Es liegt an dem sattsam bekannten Problem, dass Social Media Plattformen den Gesetzen von Kommerz und Profit unterliegen und moralischen Regeln solange folgen, solange es diesen Zwecken dient. Nicht nur, weil hier zuweilen böse Menschen am Werk sind, sondern weil dies ihrer Struktur entspricht. Sind die Nutzer*innen-Zahlen hoch genug, fangen die Dollarzeichen in den Augen der Investoren an zu leuchten. Deswegen ist das angekündigte Engagement auf anderen kommerziellen Plattformen, wie wenn man sich ein neues Auto kauft, weil man sich darüber ärgert, im Stau zu stehen.
- Die Kausalkette „Governance bestimmt Aktivitäten“ ist daher inhaltsleer, wenn eben diese Governance nicht bekannt und nicht benannt sind. Da mag bei Bluesky noch einen gewisser Vertrauensvorschuss im Spiel sein, für LinkedIn sollte man aber gewahr bleiben, dass es sich hier um eine kommerzielle Plattform handelt, deren Zweck geschäftliches Netzwerken ist, und eben nicht Wissenschaftskommunikation. Es wäre gut, die roten Linien vorher zu kennen. Ein Schuh würde draus werden, wenn sich Wissenschaftseinrichtung sehr viel stärker als Gestalter*innen einer Infrastruktur für den offenen Meinungsaustausch begreifen würden. Eben das war und ist sowohl das Potential des Internet wie auch der Wissenschaftscommunity.
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