Am vergangenen Donnerstag fand die Veranstaltung „E-Portfolios in der Hochschulpraxis“ im Rahmen der Reihe „Forum eLearning“ statt, die in Kooperation von Hochschulen in Brandenburg seit nunmehr drei Jahren regelmäßig stattfindet.
Zu Gast waren Ivo van den Berk und Michael Karbacher vom ZHW Hamburg, die uns im wesentlichen von drei Szenarien der Einbindung der Portfolioarbeit berichteten, an denen sie in verschiedenen Rollen mitgewirkt haben. Die Folien zum Vortrag hat Michael Karbacher freundlicherweise „zeitnah“ (also in diesem Fall „synchron“) in seinem Blog zur Verfügung gestellt.
Die kurze Umfrage zu Beginn der Veranstaltung, die von ca. 30 Personen besucht wurde, bestätigte meine Einschätzung, des die Verbreitung der Portfolio-Arbeit in Brandenburg nicht bei Null steht, sich jedoch noch auf mehr oder weniger auf vereinzelte Aktivitäten beschränkt. Das Interesse an dem Einsatz, auch dass hat die Veranstaltung gezeigt, wächst aber und es gibt konkrete Ansätze zu hochschulweiten bzw. studiengangsweitem Einsatz.

Ich möchte hier den Vortrag nicht wiederholen, zumal die Veranstaltung aufgezeichnet wurde und demnächst veröffentlicht werden wird. Ich werde stattdessen versuchen, wesentliche Punkte und Gedanken zu den drei Szenarien zu formulieren und ein Resümee zu ziehen, was daraus für den Stand der „E-Portfolio-Bewegung“ abgeleitet werden könnte.

I. Das Beurteilungs- und Studienbegleitungsportfolio der Faculteit der Letteren der Universität Utrecht

Dieses Projekt startete Anfang des letzten Jahrzehnts (2002) und bildet den Studienbegleitungsprozess durch Tutoren, Selbstauskünfte der Studierenden, Selbst- und Fremdeinschätzungen des Studienverlaufs und der Studienplanung ab. Es existiert noch eine Demo-Version im Netz, an der man die Idee dieses Portfoliosystems gut nachvollziehen kann. Das Führen des Portfolios war obligatorisch und wurde als
Einheit zusammen mit der Studienbegleitung durch Tutor(inn)en konzipiert. Ivo berichtete, dass er als Tutor für Beratungsgespräche einen detaillierten Leitfaden zur Verfügung hatte, den er aber für die konkreten Beratungssituationen bald eher als hinderlich empfand. Die TutorInnen tauschten sich über die Einschätzungen der Studienverläufe der Studierenden in regelmäßigen, gemeinsamen Sitzungen aus. Dort wurde auch u.U. darüber entschieden, Studierende zu sanktionieren bzw. zu Gesprächen „vorzuladen“.
Insgesamt scheint mir dieses Projekt gekennzeichnet von

  • dem Zusammengehen von Beratungs- und Portfolio-Prozessen,
  • dem Zusammendenken von Portfolioarbeit und Kompetenzorientierung,
  • der Vermischung von Reflektionsaufgaben, Beurteilungsfunktionen, (Selbst-)Disziplinierungsmechanismen und Effektivitätserwägungen.

Das Projekt wurde 2003 bereits beendet, den Abschlussbericht findet man noch hier.

II. Das eLehr-Portfolio im Studiengang „Master of Higher Education“ (MoHE) des ZHW Uni-HH 

Das E-Portfolio im Studiengang MoHE, der als berufsbegleitende, hochschuldidaktische Weiterbildung für WissenschaftlerInnen konzipiert ist, dient der Reflexion und der Bewertung des Studienverlaufs im Masterstudium.
Theoretischer Hintergrund ist einerseits ein Strukturmodell akademischer Lehrkompetenz andererseits ein auf Selbstbestimmung abzielendes didaktisches Konzept in dem der „Handlungszusammenhang von Lernen, Lehren und Bewerten“ (Merkt 2010) durchgängig berücksichtigt wird. Marianne Merkt hat dieses Konzept in einem lesenswerten Artikel in der Medienpädagogik  ausführlich dargestellt. (Merkt, Marianne (2010): Das studienbegleitende eLehrportfolio im «Master of Higher Education»– eine Fallstudie. In: MedienPädagogik, H. Themenheft 18.)

Die wesentlichen Merkmale des MoHE-E-Portfolios sind m.E. nach

  • die konsequente konzeptionelle Integration des E-Portfolio (und der digitalen Medien insgesamt) in das Studiengangkonzept,
  • die Intensität der sozialen Aspekte der Implementation durch Begleitung, Peer-Groups und ergänzende Angebote – einschließlich der „Ressourcen-Frage“,
  • das hier weitere Erfahrungen mit der E-Portfolio-Plattform Mahara im Hochschulkontext gesammelt werden können, die – wie ich meinte heraus zu Hören und zu Lesen – auch nicht durchweg positiv sind,
  • das in dem Konzept und der Implementationsstrategie die Herausforderung thematisiert wird, die Widerstände und Reibungen, die zwangsläufig auftreten müssen, wenn Partizipation, Selbstbestimmung und expansives realisiert werden sollen, produktiv für die Weiterentwicklung der Lehr-/Lernverhältnisse zu nutzen.

III. Das E-Portfolio in OLAT für StudienbeginnerInnen

In die an der UHH im Einsatz befindliche E-Learning-Plattform OLAT wurde in den letzten Monaten ein E-Portfolio Modul integriert, das im Wintersemester 2011/12 erstmal für alle Erstsemester zur Verfügung gestellt werden soll. Die Ziele sind, wie uns Michael Karbacher erläuterte, besserer Informationsfluss, Vernetzung und Sensibilisierung für die Wahrnehmung und Entwicklung der eigenen Kompetenzen im Studium. Das E-Portfolio im OLAT soll dabei als hilfreiches Medium für die Begleitung durch Mentoren, Tutoren und StudienberaterInnen eingesetzt werden. Als reine Funktionserweiterung ist es zunächst auf das aktive Inanspruchnahme durch die Studierenden angelegt, aber die Entwicklungsrichtung zielt auch auf die Einbindung in den interdisziplinären Grundkurs und in Seminaren ab. In OLAT ist auch die neu entwickelte „E-Portfolio-Aufgabe“ aufgenommen worden. Damit können die Kursleiter in der E-Learning-Plattform Aufgaben stellen, die mittels einer E-Portfolio-Seite oder -Mappe bearbeitet werden müssen. Zu dem in Hamburg genutzten Instrumentarium gehören weiterhin Lernjournale / Entwicklungsportfolios auf der Basis von WordPress-Blogs. An der Blog-Technik hängt dann jedoch auch die Frage nach der Veröffentlichung bzw. Publizität von persönlichen Reflexionen und wie solche aus der Sicht von Lehrenden zur Beurteilung herangezogen werden können. Das E-Portfolio in OLAT scheint mir dadurch gekennzeichnet,

  • das es als Option für alle Studierenden verfügbar gemacht wird,
  • dass es zunächst als zusätzliche Funktion eingeführt wird, ohne Integration in spezifische Lehr-/Lernszenarien oder Begleitungsprozesse,
  • dass mit der „Portfolioaufgabe“ eine Einbindung in die E-Learning-Plattform realisiert wird, die m.E. einiges der einstigen „E-Portfolio-Vision“ unterminiert.

Resümee
Seit Beginn der E-Portfolio-Aktivitäten in den DACH-Staaten, die ich nun seit ca. 7 Jahren verfolge haben sich die Erwartungen und Visionen, die einmal mit dem Portfolio verbunden waren stark verändert. Nun ist der „Innovations-Kater“ nach allzu starker Euphorie für diejenigen, die sich länger mit E-Learning beschäftigen, nichts wirklich Neues: Von den „intelligenten tutoriellen Systemen“ über „multimediales Lernen“ und „Learning Communities“ bis zum „E-Learning 2.0“ haben noch (fast) alle neuen Modelle und Systeme die hoffnungsfrohen Erwartungen unterboten. Als Kerngedanken der E-Portfolio-Vision hatte ich stets den lebensbegleitenden Zeithorizont, die Tendenz zur Überschreitung der Grenzen von formellem, informellem und non-formalem Wissens- und Kompetenzerwerb und – besonders wichtig – das Prinzip der „Eignerschaft“ gesehen.
Einerseits befinden wir uns nun in einer Phase, in der E-Portfolio-Systeme und -Szenarien in Hochschulen zunehmend eingebunden werden. Andererseits werden nun Medienfunktionen und Anwendungsszenarien geschaffen, die sich – so wie ich das sehe – den ursprünglichen Ideen zunehmend entwachsen, was natürlich an sich nichts dramatisches ist, es sollte jedoch wahrgenommen und reflektiert werden. Dort, wo E-Portfolio-Ansätze sich die Aufgabe stellen, Lehre und Studium qualitativ weiter zu entwickeln, sind die Themen im Fokus, die sich auch für die Weiterentwicklung der Lehre insgesamt stellen: Partizipation in Bildungsprozessen, Selbstbestimmung und subjektiver Lernsinn in Bildungsinstitutionen und das Spannungsverhältnis zwischen Lernen, Lehren und Beurteilen. Dort, wo diese Ansätze mit Erfolg umgesetzt werden, geht dies nach meiner Beobachtung in der Regel mit erhöhten Aufwand auf allen Seiten, den Mut, neue, unbekannte Wege zu beschreiten und einem Vertrauensvorschuss der Studierenden einher. Dies sind aber Faktoren, die in einem „Regelbetrieb“ von E-Portfolios in Hochschulen wohl nicht aufrecht erhalten werden können.
Für mich stellt sich daher die Frage neu, was in den geschilderten Ansätzen (und in der E-Portfolio-Praxis im allgemeinen), die ganz spezifischen, an das E-Portfolio als technisches System und als Kernkonzept eines Lehr-/Lernarrangements gebundenen Merkmale, Vorgehensweisen und Prozesse sind.  

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