Zwei Meldungen und ein Gedanke beschäftigen mich im Moment: Es geht um Medienkompetenz, digitale Schreibkompetenz und den aktuelle Aufschwung der Diskussion von „Lesestrategien“ und „Lesetechniken“. 

Da ist einmal die brandheiße Meldung des E-Learning-Expo-Portals, die gerade per Pressemitteilung bekannt geben, dass „Medienkompetenz der Engpass“ sei. Dabei nehmen sie Bezug zum Horizont-Report 2011 und da ich mich nicht entschließen konnte, mir einen frischen Account anzulegen, um dass Themen-Special der Messe zum Thema anzuschauen, habe ich direkt in die deutsche Version des Horizon-Reports 2011 geschaut, welchen das Hamburger Multimediakontor dankenswerterweise übersetzt und verbreitet hat.

Dort ist in der Zusammenfassung auf Seite 4 zu erfahren, dass Medienkompetenz als „Schlüsselqualifikation in jeder Fachdisziplin und Profession immer mehr an Bedeutung [gewinnt]. Diese Herausforderung, die erstmals 2008 festgehalten wurde, wurde von den Beiratsmitgliedern einhellig bestätigt.“ Es bestehe jedoch zwar „breiter Konsens darüber […] dass Medienkompetenz für die heutigen Studierenden lebenswichtig ist“, die Kompetenzen seien aber nicht ausreichend definiert, die Angebote für Studierende kämen zu langsam in Schwung und die „Herausforderung wird dadurch verschärft, dass digitale Technologien sich schneller verändern, als die Lehrplanentwicklung Schritt halten kann.“

Interessant finde ich hier, dass ausschließlich von den Studierenden als Adressaten der Medienkompetenz die Rede ist. Das mag an dem spezifischen Auftrag der Horizon-Beratungsgruppe liegen, könnte aber auch

auf dem klassischen Kurzschluss beruhen, dem viele pädagogische Steuerungsbemühungen unterliegen: Die pädagogische Intervention („Lehrplanentwicklung“) ist gleichbedeutend mit dem angestrebten „Lernen“ der Adressaten, dass jedoch leider von den Lehrenden mangels ausreichender Definition und Planung noch nicht optimal umgesetzt werden könne. Die Relevanz der Medienkompetenz für Studierende ist sicher unstrittig, gehört jedoch auf alle Akteure ausgedehnt: Auch für das E-Teaching (in Sinne von „Online-Lehre“) ist Medienkompetenz, die deutlich über eine „Bedienkompetenz“ hinausgeht, eine Voraussetzung für die Integration und Weiterentwicklung digitaler Medien in der Hochschullehre.

Den anderen Denkanstoss hat mir Stefan Iske unlängst mit einem Hinweis auf einen Artikel in der Medienpädagogik vermittelt, in dem die Erfahrungen von Hochschullehrenden mit E-Mail-Kommunikation aufgearbeitet und interpretiert werden. In dem Artikel gehen die drei AutorInnen davon aus, dass die konkrete Kommunikationspraxis sich nach einem „social identity model“ in und durch Interaktion konstituiert und in kultureller Praxis bestätigt. Sie kommen zu dem Schluss

„Solange jedoch die Referenzformen zu Beginn einer E-Mail-Kommunikation derart unterschiedlich  sind, solange die Erwartungshaltung bzw. die Reaktion  der  Adressat/innen ebenfalls einer heterogenen Praxis unterliegt, solange Normen dann ggf. in einem längeren Prozess innerhalb der jeweiligen digitalen Interaktion erst gemeinsam justiert werden müssen und dabei ohne Öffentlichkeitswirkung bleiben, solange bleibt die E-Mail als Textform wohl ein individualisierender «Selbstläufer»  mit  hohem  Auslegungsreichtum  und  weiterhin  bestehendem  Konfliktpotenzial bezüglich der Erwartungen an eine «gute» Mail.“ (Hoffmann, Keller, Pfeiffer, 2011, „Hallöchen Herr Professor! Überlegungen zur Normierungsproblematik in der E-Mail-Kommunikation am Beispiel des Hochschulkontextes“ in www.medienpaed.com)

Demnach dreht es sich nicht um einen Mangel an „E-Mail-Kompetenz“, sondern um einen Mangel an Abstimmung und Verhandlung in der gemeinsamen Kommunikationspraxis in einem neuen Medium, der zu den Mißverständnissen bzw. Mißstimmungen führt. Auch hier spielt ein Mangel an Definitionen und Klarheit eine Rolle, diesmal jedoch nicht nur auf Seiten der pädagogisch „Handlungsbevollmächtigten“, sondern als diagnostizierter Mangel an notwendigen Abstimmungsprozessen angesichts einer nicht ausreichend definierten Situation bei der Kommunikation mit einem neuen, fremden Medium. Medienkompetenz wird in dieser Sichtweise nicht nur als Defizit auf Seiten der Studierenden beschrieben, sondern als strukturelles Defizit, dass nur in einem Verständigungsprozess zu lösen wäre.

In Gedanken schließt sich daran meine Beobachtung an, dass im Zuge der sorgfältigeren Beachtung und Planung von Studieneingangsphasen an den Hochschulen, Lesetechniken und Lesestrategien verstärkt thematisiert werden. Das freut mich und gibt mir gleichzeitig zu denken. Begrüßenswert finde ich die Thematisierung von Studientechniken, da ich mich an meine eigene Studienzeit erinnere und daran, dass ich einen produktiveren Stil im Umgang mit wissenschaftlicher Literatur erst per glücklichem Zufall bei einem Auslandsaufenthalt kennen lernte. Die Tatsache, dass es vielfältige Möglichkeiten gibt, einen Text zu lesen, insbesondere, dass es erst mal völlig in Ordnung ist, wenn nicht jeder Bezug und jeder Gedankengang verstanden wird (dafür trifft man sich ja im Seminar), war mir schlicht neu und ich hätte von der früheren Kenntnis dieses Lesestils vermutlich profitiert. Was mich nachdenklich macht ist, dass es hier ja auch um eine „Medienkompetenz“ geht, die offensichtlich eine neue Relevanz erhält. In diesem Fall handelt es sich aber weder um ein „neues Medium“ noch gibt es einen Mangel an Definitionen, Methoden oder Techniken zu Lesekompetenzen.

Demnach könnten wir uns zwischen drei Haltungen entscheiden: a) Medienkompetenz kann nicht im gewünschten Maße ausgeweitet werden, weil planerisches und systematisches Wissen und Handeln zu wenig verankert sind. b) Medienkompetenz im Hinblick auf digitale Medien ist noch gar nicht definierbar, weil das notwendige Wissen um die Besonderheiten und Umgangsweisen mit digitalen Medien noch wenig entwickelt ist und stattdessen situativ hergestellt werden muss. Und c) anscheinend ist weder ersteres noch zweiteres ausschlaggebend, da ein Mangel an Kompetenz trotz verfügbaren Wissens und Methodik eintreten kann.

Was wären daraus für Schlussfolgerungen zu ziehen? Meines Erachtens nach bedeutet dies für die Diskussion um „E-Kompetenz“ von Studierenden und Lehrenden an Hochschulen folgendes:

  • Es mangelt nicht an Planung oder Definitionen, um Medienkompetenz bei den Beteiligten weiter zu entwickeln – der schon verlorene Wettlauf mit der technischen Entwicklung unterstreicht das.
  • Die umsichtige, situative und im Modus gleichberechtigter Kommunikation herzustellenden konkreten Handlungsweisen und Selbstverständigungsprozesse stellen die erfolgsversprechenste Art und Weise dar, die empfundene Leerstelle „Medienkompetenz“ zu füllen.
  • Das wird aber auch nichts nützen, wenn es nicht mit der Bemühung einhergeht, Bedingungen und Rahmungen zu schaffen, in denen die Prozesse der Verständigung und gemeinsamen Herstellung von Medienkompetenz in der Hochschule verstetigt werden können, unabhängig von einem spezifischem Medium.

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