Rainer Mühlhoff beleuchtet in seinem neuen Buch die technologische Entwicklung von KI, den KI-Hype und dessen ideologische Wurzeln, die tief in ultrarechten Strömungen des Silicon Valley verankert sind. Mühlhoff warnt vor der Gefahr, dass diese Ideologien autoritäre und faschistische Gesellschaftsstrukturen begünstigen könnten. Das Buch will provozieren, liefert Fakten und stellt wichtige Fragen zur Rolle von KI in unserer Gesellschaft. Es bietet wertvolle Denkanstöße, auch wenn es nicht alle meine Erwartungen erfüllt hat.

Auf Rainer Mühlhoff bin ich aufmerksam geworden anlässlich seines Vortrags auf dem 37C3 im vorvergangenen Jahr1. Seine Zurechtrückung des populären Bilds der „autonomen KI-Maschine“, die Menschen ersetzen würde, zum stimmigeren Bild einer „human-aided AI“, die vor allem auf dem Aufsaugen menschlicher Arbeitskraft und Kreativität im gigantischen Ausmaß beruht, schien mir eine originelle Erweiterung der dominanten Sichtweisen des öffentlichen Diskurses. Von daher war ich auf den jüngsten Titel „Kunstliche Intelligenz und der neue Faschismus“ sehr gespannt und habe das kompakte Büchlein an einem Stück durchgelesen.
Um es vorweg zu nehmen: Meine Erwartungen hat das Buch nicht rundweg erfüllen können, was ich dem Autor nicht zum Vorwurf machen möchte, sondern daran zu messen ist, was ich mir für die Weiterführung der KI-Debatte gewünscht hätte. Nämlich frischere Impulse für einen KI-Diskurs in der Bildung, die sich im Bildungsbereich, so scheint es mir, in einerseits eine intensive Suche nach pragmatischen, kritisch-humanen Handlungsoptionen2 und in fundamentale, kritische Abwehrhaltung zum KI-Hype aufgleist3.

Das Buch

Neben Einleitung und Ausblick gliedert sich das Buch in sechs Abschnitte, die sich einer Einführung in die technologischen Entwicklungsgeschichte und Grundbegriffe der KI (1,2), dem KI-Hype (3) und den damit verbundenen ideologischen Strömungen (4,5) sowie einer Synthese im Hinblick auf faschistische Gesellschaftsentwicklungen widmen. Die Hauptsächliche Argumentationskette, die Mühlhoff dabei entfaltet, lautet (so weit ich das begriffen habe, sowie unter Auslassungen):

Geschichte und Grundbegriffe der KI-Technologie (Kap. 1,2)

Dominierende KI-Technologien, die in Entscheidungsprozessen eingebunden werden, tragen aufgrund ihrer probabilistischen Logik nicht zu einer Annäherung an Wahrheit (bzw. zu richtigen Entscheidungen) bei, sondern zu einer Kosten-Nutzen-Optimierung. Das führt zu steigender Ungleichheit und Benachteiligung, wenn die von dieser Logik Benachteiligten sowieso schon benachteiligt sind, was darin zum Ausdruck kommt, dass die entstehenden Kosten von Fehlentscheidungen geringer ausfallen, da diese Gruppe weniger Ressourcen (z.B. die Fähigkeit, Klage zu führen) einbringen kann. Verzerrungen, die KI zu Gunsten dieser Gruppen sowieso schon mit sich bringt, werden verstärkt.

KI-Hype selbsternannter Prophet*innen (Kap. 3)

Der KI-Hype, der wesentlich von denen befördert wird, die davon wirtschaftlich profitieren, lenkt die Aufmerksamkeit auf hypothetische Entwicklungen, die zu Menschheitsfragen stilisiert werden. Diese dichotomen Prognosen verstellen aber den Blick auf die realen, negativen Auswirkungen im Hier und Jetzt und festigen die Vorrangstellung der selbsternannten Prophetinnen im Diskurs. Die Prophezeiungen erwiesen sich in der Vergangenheit in der Regel als weit überzogen. Der Hype ist von Antropomorphismus („Menschenähnlichkeit“) geprägt und tendiert ironischerweise gleichzeitig dazu, menschliche Arbeit und kognitive Leistungen, die in die KI-Systeme eingehen („human-aided AI“) zu ignorieren.

ultrarechtes Gemenge von Theorien und Werten im Silicon Valley (Kap. 4 +5)

Die AI-Akteur*innen und deren Geschäftsmodelle sind von einem Bündel von miteinander verwobenen Weltanschauungen, Theorien und Werthaltungen geprägt, die mit Begriffen wie „Techno-Optimismus“, „Solutionismus“, „Transhumanismus“, „Cyberliberatismus“, „Longtermismus“ und „Dunkle Aufklärung“ verbunden sind. Ihnen gemeinsam ist ein Menschenbild, das auf Ungleichheit, Aggression und Kampf „aller gegen alle“ rekurriert, die sich im „freien Spiel der Kräfte“ entfalten und bewähren sollen. Neben diesem verbindenen sozialdarwinistischen und neoliberalen Positionen wird das Ideologiegebäude vor allem von einem Netzwerk aus Personen, Institutionen, Finanzstrukturen und Öffentlichkeitsplattformen getragen, das weit in die ultra-rechte Bewegung der USA hineinragt. Der Hauptsächliche Ort, an dem sich all dies aggregiert, wird im Buch als das „Silicon Valley“ identifiziert, das damit auch zu einer Metapher wird.

technofaschistische Gesellschaftsentwicklung

Mülhoff beobachtet, dass sich diese Mischung aus (a) instrumentellen Wahrheitsbegriff und seiner entsprechenden Umsetzung in KI-Technologien, (b) einem überspitzten und realitätsfernen Fortschrittsglauben, (c) einem ideologischen Überbau, der anschlussfähig (wenn nicht identisch) mit ultra-rechten, demokratiefeindlichen Strömungen ist, zu einem Konglomerat verbinden kann, welches das Potential birgt, autoritäre, rassistische und faschistische Regierungsformen entscheidend zu befördern und zu stabilisieren. Als geschichtlicher Beleg dafür wird die enge „Geschäftsverbindung“ zwischen IBM und Hitler-Deutschland angeführt, in der sich „wertfreie“ Technologien mit einem faschistischen Regime verbunden und gegenseitig befördert haben. Die Ereignisse in den USA seit der Wiederwahl D. Trumps liefern zudem reichlich aktuelles Anschauungsmaterial, sowohl was Akteur*innen, Ideologien betrifft, als auch die konkreten Angriffe und Handlungsweisen.

Cover des Buches "Rainer Mühlhoff – Künstliche Intelligenz und der neue Faschismus", Reclam-Verlag, 2025. Oben der Titel und Autor auf weißem Grund. Die ganze Fläche unternhalb ist mit weißen, schwarzen, blauen und dünnen roten und organgenen Längsstreifen gefüllt.

Fragen und Gedanken zum Buch

Neben meiner, über die längsten Strecken des Buches ungeteilten, Zustimmung zu den Kernaussagen, Beispielen und Schlussfolgerungen des Buches, sind mir aber auch ein paar Fragen und Gedanken gekommen.

Die TechBros und die Ideologie

Elon M. teilt und verteilt seit ca. der COVID-Pandemie (ultra-)rechte Positionen, vorher hatte er jedoch die US-Demokraten, Obamas und H.Clintons Wahlkämpfe unterstützt4. Spricht das nicht eher für einen „vorübergehenden Opportunismus“ (S. 11), als für die gefestigte Haltung, die Mühlhoff feststellt? Das ultra-rechte Weltanschauungskonglomerat der TechBros, das auch unter verschiedenen Labeln, wie TESCREAL5 oder the „The nerd Reich“6 gehandelt wird, kann mit Sicherheit als faschistoid bezeichnet werden, es fällt mir aber schwer, das Gemisch als abgrenzbares System zu behandeln. Hier ist etwas Neues und Gefährliches am Start, das sich noch nicht auf den einen Begriff bringen lässt.7.

KI und (digitaler) Kapitalismus

Die kritische Analyse ist augenblicklich auf die Tech-Industrie im Silicon-Valley-Stil fixiert, auf ein spezifisches Netz aus mächtigen Personen, Technologien und Theorien in einer spezifischen Region. Die ist aber nicht geschichtslos, sondern muss auf vorhergehende Formen beruhen, möchte man nicht das Disruptionsnarrativ reproduzieren. Plattformkapitalismus, Neoliberalismus, Finanzkapitalismus sind bereits mit technologischen Aspekten und Elementen verknüpft. Mills sah bereits in den 60er Jahren im militärisch-industriellen Komplex ein ähnliches Netz dabei, die Demokratie zu gefährden. Ich glaube, es würde der kritischen KI-Diskussion gut tun, hier die Kontinuitäten (und Brüche) zu verfolgen und darzustellen. Der Verweis auf das faschistische Deutschland lässt hier eine historische Leerstelle, die zu füllen R. Mühlhoff wohl nicht den Platz und Anspruch hatte, die ich aber vermisse.

KI und Faschismus

Ein deterministischer Zusammenhang („aus A folgt B“) zwischen KI und Faschismus wird in dem Buch ausdrücklich abgelehnt. Es wird aber die Position vertreten, dass die Ideologien, die hinter den dominanten KI-Narrativen stehen, faschistoide Haltungen und Programme beinhalten:

„Das futuristische populäre Bild von KI und die Tech-Ideologien, die hinter diesem Bild stehen, tragen die Idee einer solchen faschistischen Indienstnahme von KI-Technologie bereits in sich.“ (S. 145) Die gängigen Erzählungen stellten eine „direkte Synergie zwischen den Tech-Ideologien und der Mythologie faschistischer Weltanschauungen“ (S. 145) her.

Hier muss man die Argumentation dann allerdings haargenau verfolgen, um nicht auf die falsche Fährte zu geraten:

  1. Es ist nicht die Technologie, die Faschismus hervorbringt oder auch nur befördert, sondern der Faschismus bedient sich gerne aktueller Technologien.
  2. Die Erzählungen und Methaphern der Tech-Ideologien und des Faschismus stützen sich gegenseitig. Sie sind aber – zumindest steht das nicht im Buch – nicht identisch.

Kontext und Geschichte können Ideologie entzaubern

Es handelt sich also um ein Verhältnis von Technizismus und Faschismus, in dem der Faschismus sich der Technologie bemächtigt, was durch das faschistoide Konglomerat aus Ideologie, Akteur*innen und Technologie erleichtert und willkommen geheißen wird. Ich finde diese Argumentation einerseits richtig, in einer sorgfältigen Leseweise bietet sie aber auch nicht sehr viel Neues, sondern ist eine Weiterführung bekannter Entwicklungen, die sich nun im KI-Hype fokussieren. Das Buch läuft damit aus meiner Sicht Gefahr, den Hype, der zurecht kritisch eingeschätzt wird, zu perpetuieren, weil die Verbindung von menschenfeindlichen und technizistischen Narrativen – und deren mögliche Gegenentwürfe – punktuell – eher „disruptiv“ – in den Blick genommen wird. Geschichtlichkeit und Kontext, die Rainer Mühlhoff zur Entzauberung des KI-Hypes vorbildlich entfaltet, hätten auch der Darstellung der ideologischen Entwicklung gut getan. Anders über KI sprechen, so wie Rainer Mühlhoff es vorschlägt und mit seinem Buch vormacht, ist ein guter Anfang.


  1. Rainer Mühlhoff, 28.12.2023, KI – Macht – Ungleichheit, https://media.ccc.de/v/37c3-11937-ki_macht_ungleichheit []
  2. HFD, 17.07.2025, Künstliche Intelligenz: Was Hochschulen aktuell an- und umtreibt und wie das KI-Lab dabei helfen kann, https://hochschulforumdigitalisierung.de/ki-lab-fuer-hochschulen/ []
  3. Stephen Down, 10.07.2025, Artificial intelligence is the opposite of education, http://www.downes.ca/post/78113/rd; Dusseau & Reynoldson, 06.07.2025, An open letter from educators who refuse the call to adopt GenAI in education, https://openletter.earth/an-open-letter-from-educators-who-refuse-the-call-to-adopt-genai-in-education-cb4aee75 []
  4. rnd.de, 02.02.2025, Die „Pipeline von Libertär zu Alt-Right“: Was steckt hinter Musks politischem Wandel?, https://www.rnd.de/politik/elon-musks-politische-haltung-was-heisst-pipeline-von-libertaer-zu-alt-right-PGFX4CIPVZCETDJD7DBBHGAUL4.html []
  5. Gebru & Torres, https://doi.org/10.5210/fm.v29i4.13636 []
  6. https://www.thenerdreich.com/ []
  7. NB: die Entwicklung dieser Weltanschauung im Silicon Valley wird gerade von der DLF-Podcast-Serie „Tech Bro Topia“ aufgearbeitet: https://www.deutschlandradio.de/tech-bro-topia-100.html []

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