Was bedeutet „Digitalisierung der Hochschule“? Und was hat es mit E-Learning zu tun?
Die Digitalisierung im Zusammenhang mit der Hochschule ist in aller Munde, was sich an der Menge der thematischen und themenverwandten Publikationen, Ausschreibungen und Tagungen zeigt. Auf den zweiten Blick zeigt sich aber: „Digitalisierung“ ist ein vielschichtiger und nicht leicht eingrenzbarer Begriff. Mal geht es um Digitalisierung der Hochschule, dann wieder um die Digitalisierung der Hochschullehre, überlappend mit den Anforderungen an Bildung in einer digitalisierten Gesellschaft. Diese drei Themen sind natürlich aufeinander bezogen, adressieren aber verschieden Handlungsfelder, verschiedene Akteure und gestalten sich nach verschiedenen Spielregeln.
Die Stellung des E-Learning ändert sich in der digitalisierten Hochschule
Die Bedeutung von E-Learning, so wie es heute verstanden wird, erwächst in erster Linie aus der Anwendung digitaler Medientechnologie für die Gestaltung von Lehr-/Lernarrangements, also wesentlich auf die Hochschullehre bezogen. Von dieser Postion aus waren und sind die Akteure im E-Learning Vorreiter(innen) und Impulsgeber(innen) für die Digitalisierung der Hochschule und haben die mit der Digitalisierung einhergehenden Veränderungen in der Bildungsorganisation und im Bildungsbegriff reflektiert und daraus Impulse für Weiterentwicklungen entwickelt. So weit, so gut.
Diese Stellung im digitalen Bildungsgeschehen findet sich aber heute aber in einem gewandelten Umfeld wieder, es wird immer stärker sichtbar, dass es sich beim E-Learning i.e.S. um einen Teilbereich einer Gesamtentwicklung „Digitalisierung“ handelt. E-Learning ist heute vollständig ein Teil der digitaliserten Bildungswelt – zumindest in der Hochschule.
Ich mache dafür vier Schlüsselanwendungen aus, die diesen Prozess illustrieren:
- Blended-Learning
- E-Learning 2.0
- Mobile Learning
- MOOCs
Während in der (ersten) Blended-Learning-Ära noch das didaktische Experimentieren und in-die-Hochschule-Reinholen von und mit digitalen Werkzeugen und webbasierten Anwendungen im Mittelpunkt stand, hat mit der Entwicklung des Web 2.0 der Kompass der „Digitalisierungsrichtung“ schon gekreiselt. Mit E-Learning 2.0 wurde die Diskussion um die Digitalisierung der Hochschule quasi uni-direktional, die Impulse und Rahmenbedingungen kamen von innen und von außerhalb der Hochschulen. Mit dem Emergieren des Mobile Learning als Synonym für die ständige Vernetzung („Onlife“) spätestens wurde deutlich, dass die Digitalisierung von Lehre (E-Learning) mit den digital vernetzt lebenden Lernenden und Lehrenden zu tun hat, dass es kein analoges Leben mehr im Digitalen geben kann und folglich auch kein solches Bildungsgeschehen. Mit dem MOOC-Movement schließlich – so meine Wahrnehmung – wurde das erste mal nicht mehr die „Digitalisierung von …“ zum Thema, sondern es ging plötzlich um die Frage, ob die Organisationsprinzipien und -strukturen der akademischen (Aus-)Bildung insgesamt in einer digitalisierten Welt noch Bestand haben (sollen oder werden). Ich denke es war dieser Zeitpunkt, an dem mit einem Paukenschlag sichtbar wurde, dass die Digitalisierung einerseits einen gewaltigen Einfluss auf die Gestaltung von Lehre haben wird, wenn sie mit der „Digitalisierung des Lebens“ in Resonanz ist, dass wir dann aber nicht mehr von E-Learning im engeren Sinne sprechen können. Es geht dann eher um die Digitalisierung der Bildung auf allen Ebenen.
Was wird digitalisiert?
Es geht um drei Ebenen in denen die Veränderungsprozesse stattfinden, die wir mit Digitalisierung in Verbindung bringen:
- Die Hochschule als Einrichtung, durch Digitalisierung der Geschäftsprozesse. Zu diesen Prozessen gehören neben der Lehre auch Forschung, Verwaltung, Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit.
- Die Veränderungs(möglichkeiten) der Lehr-/Lernarrangements und Lernaktivitäten durch den Einsatz von Medientechnologien (E-Learning im engeren Sinne) und die
- Veränderung des Auftrags und Zielsetzung der (akademischen) Ausbildung in einer von Digitalisierung geprägten Welt.
Die Digitalisierung betrifft (1) die Organisation, (2) die Formen und (3) die Inhalte der hochschulischen Bildung.
Was bedeutet Digitalisierung für die Organisation der Hochschule?
Sprechen wir von der Digitalisierung der Hochschule so ist damit insbesondere die Einführung von IT-gestützten Prozessen für die in einer Hochschule anfallenden Arbeitsprozesse und Datenverarbeitungsaufgaben gemeint. Was dort bei der Einführung von IT-gestützten Prozessen im Einzelnen geschieht, kann gut verglichen werden mit den Vorgängen in Unternehmen und Verwaltungen: In der Regel eine Kombination aus der Formalisierung und Standardisierung von Abläufen, der Nutzung von EDV auf allen Stufen (Datengenerierung!) sowie Automatisierung der Entscheidungsabläufe und Informationsweitergabe. Da dieser Prozess innerhalb der Hochschulen schon ein paar Jahre am laufen ist und zwar vielfach dezentral und mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten, ist eine der aktuellen Hauptaufgaben die Integration. Integration bedeutet dann aber auch, dass der „Kernprozess Lehre“ als Teil einer größeren Bewegung betrachet werden müsste.
Was bedeutet das für die E-Learning-Akteure?
Wenn die These stimmt, dass E-Learning heute einen Teilbereich der Digitalisierung der Hochschule darstellt, müssen sich dann nicht auch die Handlungsbedingungen und die Ziele des E-Learning (im Sinne von: Gestaltung der Digitalisierung der Lehre) anders darstellen? Das könnte beispielsweise bedeuten:
- Klarzustellen, dass es kein analoges Lehren und Lernen mehr in einer digitalsierten Welt geben kann. Das dieses Statement in manchen Ohren wie ein Angriff klingt, ist ein Ausdruck für die damit verbundenen grundlegenden Veränderungen. Es ist überaus spürbar, dass dieser Prozess in Kernbereiche der Wissensproduktion, Wissensvermittlung und Bildung hineinwirkt.
- Dass E-Learning Akteure sich darauf konzentrieren, aus ihrer Perspektive und mit ihren Mitteln die Digitalisierung der Lehre zu betreiben, sie aber nicht die Digitalisierung der Hochschule in den Fokus stellen sollten. Dieser Prozess erfordert neue Akteursgemeinschaften. Wir müssen uns darauf einrichten, das sich der „Kernprozess Lehre“ sich durch digitale Technologien grundlegend verändert, ohne das dies nach „didaktischen Spielregeln“ erfolgt.
- E-Learning-Akteure sollten mehr Energie darauf verwenden, die eigenen Ideen, Konzepte und Entwicklungsimpulse detailreicher in medientechnologische Anforderungen zu übersetzen. Didaktische Kategorien reichen nicht mehr hin, komplexe mediengestützte Lehr-/Lernumgebungen zu gestalten.
- In den Entwicklungsprojekten muss eine Balance gefunden werden zwischen der in der Tendenz ergebnisoffenen didaktischen Ermöglichung und der in der in der Tendenz produktorientierten technischen Realisation. Das beinhaltet m.E. einen anderen Umgang mit Komplexität, der genau nicht deren Beseitigung („Komplexitätsreduzierung“) zum Ziel haben kann, sondern deren Gestaltung.