Die Reform des Urheberrechts als Ende der Bildung?

 

UPDATE (23.02.2017) Für diejenigen, die den Entwurf für ein bildungsfreundlich(er)es Urheberrecht unterstützen möchten, existiert die Online-Petition „Unterstützung des Referentenentwurfs zur Reform des Urheberrechts“ auf change.org

Publikationsfreiheit – für eine starke Bildungsrepublik“ heisst bedeutungsvoll die Webseite auf der Autor*innen, Verlage und Akteure zum Protest gegen den vorliegenden Referentenentwurf zu einer Neufassung des Urheberrechts (das Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetz – UrhWissG) und die Open-Acess-Strategie der BMBF vom Herbst 2016 (OA-Strategie) aufrufen. Worum geht es? Im Koalitionsvertrag 2013 wurde das „bildungs- und forschungsfreundliches Urheberrecht und eine umfassende Open-Access-Politik„als politisches Ziel vereinbart und nun liegen mit den beiden Dokumente die Lieferungen der Ministerien vor. Betroffene und Interessierte können zu dem Entwurf des UrhWissG noch bis zum 24.02. Stellung nehmen. Damit tritt der seit Jahren immer wieder neu aufflammende Streit um die Vergütung von Autor*innen und Verlage für die sogenannte “Zweitnutzung” von Texten in Bildung und Forschung, also Kopien, Scans und PDF-Dateien in eine neue, vielleicht entscheidende Phase. Angetrieben ist diese Auseinandersetzung von der fortschreitenden Digitalisierung, die sowohl die Nutzung von Texten in Lernplattformen und digitalen Sammlungen (sog. “Repositorien”) betrifft, als auch zu einem veränderten (Selbst-)Verständnis der Autor*innen von wissenschaftlichen Texten geführt hat, für die sich neue Möglichkeiten ergeben, ihre Fachöffentlichkeit und publizistische Aufmerksamkeit zu erreichen. Mit dem Gesetzentwurf zum Urheberrecht und dem Strategiepapier zu Open Access positioniert sich die Koalition nun deutlich gegen die Interessen der Verlage und für die Interessen von Wissenschaft und Bildung.

http://www.urheberrechtsbuendnis.de/pressemitteilung0217.html.de

Der Entwurf des Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetz – UrhWissG

Der Entwurf zur Neufassung des Urheberrechts wie er jetzt vorliegt, berücksichtigt die Interessen von Bildung und Forschung mindestens in dem Maße, wie es die bestehende Regelung mit der so genannten “Wissenschaftsschranke” nach § 52a UrhG bereits umsetzt, in Teilen ist das neue Gesetz etwas weitergehend und versucht die “klassischen” Unklarheiten und Streitpunkte des alten
Gesetzestextes zu entschärfen. Die Einzelvergütung von Texten und der Vorrang von Angeboten der Verlage gegenüber den Angeboten von Hochschulen und Bibliotheken – die beiden wesentlichen Kritikpunkte der Auseinandersetzung um den Unirahmenvertrag Ende 2016 – werden im Entwurf ausgeschlossen. Mit einer ganzen Reihe von Einzelregelungen (die Ausnahmen für Bildung und Forschung sind jetzt in acht Einzelregelungen, §60a – 60h festgehalten) ist der Entwurf für das Wissensgesellschafts-Urheberrecht leider nicht wirklich bildungs- und forschungsfreundlich ausgefallen. Es bleibt, so wie die alte Regelung komplex und erklärungsbedürftig. Die Einschätzung von iRights-Info klingt aber plausibel, dass eine pauschale Regelung vermutlich vor allem eine neue Welle von kleinteiligen Gerichtsentscheidungen zur Auslegung von Spezialfällen provoziert hätte. Mit der Reform des Urheberrechts sollte vor allem der seit Jahren schwelende und immer wieder aufflammende Streit um die Rolle der Verlage beigelegt werden. Dazu scheint die Zeit aber offensichtlich noch nicht reif, eine Verschlechterung ist es aber keinesfalls.

Die Open-Access-Strategie des Bundesforschungsministeriums

„Open-Access“ (OA) bezeichnet das Prinzip des freien Zugangs zu wissenschaftlichen Ressourcen. Explodierende Wissensmengen, die Möglichkeiten des Internet und die Tendenz der führenden Verlagshäuser, die wissenschaftliche Zeitschriften zu Melkkühen ihrer Geschäftsmodelle zu machen, haben dieser Bewegung in den letzten Jahren großen Zulauf beschert. Open Access reflektiert die Bedürfnisse der wissenschaftlichen Autorinnen und Autoren, die eigene Arbeit zu fairen Bedingungen vollwertig zu veröffentlichen und den einfachen elektronischen Zugriff auf so viel Ressourcen wie möglich zu haben. Für Lehre und Unterricht bedeutet OA einen Schritt nach vorne, denn die Beschränkungen und Regelungen aus dem Urheberrecht sind bereits erfüllt und die fraglichen Texte und Ressourcen sind bereits online verfügbar gemacht. Das Strategiepapier des BMBF zu OA enthält, neben Absichterklärungen und Bekenntnissen zu OA vor allem die sehr handfeste Ankündigung, dass die Pflicht zur Veröffentlichung von Forschungsergebnissen in frei zugänglichen Formaten in Zukunft Bestandteil der Förderbedingungen werden wird. Sinnvoll erscheint dies vor allem vor dem Hintergrund, dass die bisherige Regelung dazu führen konnte, dass für die Ergebnisse staatlich geförderter Forschung und Anwendung die Steuern zwei mal ausgegeben werden mussten: Erst für die Förderung des Projekts und dann für den Erwerb der Nutzungsrechte um die Ergebnisse aus diesem Projekt der Allgemeinheit zugänglich zu machen.

Ist die Publikationsfreiheit durch OA und UrhWissG bedroht?

Schenkt man den Autor*innen des Aufrufs “Publikationsfreiheit” Glauben, geht um nicht weniger als den Bestand der Demokratie. Behauptet wird in dem Aufruf, es gehe jetzt um die Zukunft des „freien Austausch von Wissen, Meinungen und Ideen“ in Deutschland, in

    „…einer Zeit, in der es wichtiger denn je ist, die Grenzen zwischen Fakten und Wissen auf der einen Seite und Behauptungen und Halbwissen auf der anderen Seite klar zu ziehen und zu verteidigen, müssen diese Grundrechte erst recht gestärkt werden. Der Weg in die Abhängigkeit von einigen wenigen global agierenden Medienanbietern oder gar in ein staatliches Publikationswesen führt zu einem Verlust von Qualität und Vielfalt – und letztlich von Bildung, Deutschlands wichtigstem Rohstoff.“

Feind der Demokratie (Xerox)

Flankiert wird der Aufruf, den bisher knapp 2.000 Personen unterschrieben haben, durch Mailings, beispielsweise aus dem Waxmann-Verlag in dem ebenfalls behauptet wird, dass mit „diesen Reformplänen […] die Leistungen von Autorinnen, Autoren und ihren Verlagen entwertet und das Investitionsrisiko für Lehr- und Lernmedien drastisch erhöht“ wird. Die (bekannte) Argumentationskette lautet in etwa: Ein offeneres, wissenschafts- und bildungsfreundliches Lizenz- und Fördermodell für bildungsrelevante Inhalte führt zum wirtschaftlichen Schaden der Verlage und AutorInnen, die daher keine Inhalte mehr produzieren und vertreiben können, was der Bildung insgesamt schade. Prägnanter äußert sich das in den Kommentaren der Unterzeichner*innen des Aufrufs. Kostproben: „Bildung in Wikipedia-Manier einer großen Masse zur Verfügung stellen zu wollen ist unseriös und das Gegenteil von qualifizierter Bildung„, „Der Anspruch der Autoren und Verlage auf Vergütung muss daher unbedingt erhalten bleiben„, „Wenn ‚content‘ nichts mehr wert ist, braucht man sich auch nicht zu wundern, dass die Qualität leidet“ oder „Wenn Veröffentlichungen, die sich für wissenschaftliche oder Lehrzwecke eignen, vom Staat enteignet werden, wird in diesem Bereich zukünftig eben nicht mehr veröffentlicht„. „Enteignung“, „Entwertung“, „Bildungsverlust“ scheinen die zentralen Argumentationen der Unterstützer*innen zu sein. Wo hier halbes und ganzes Wissen, Fakten und Behauptungen ineinander übergehen muss jede*r selber entscheiden – sicher scheint mir, das Sachlichkeit nicht der bevorzugte Diskussionsstil ist.

Die Sache: Kleine und mittlere Wissenschaftsverlage haben ein Problem

Ökonomischer Hintergrund der Debatte ist das Problem der mittleren und kleineren Wissenschaftsverlage, den Strukturwandel zu bewältigen. Die Deutsche Bank Research schrieb schon 2009 der Branche die Kernfrage ins Stammbuch: „Wie lässt sich das bisherige Geschäftsmodell, nämlich der Verkauf von Inhalten und Werbeanzeigen auf bedrucktem Papier, profitabel in die digitale Welt übertragen, ohne das noch auf Jahre hinaus wichtigere traditionelle Geschäft aus den Augen zu verlieren?“ (DB Reserch 2009). Für das Jahr 2016 diagnostizierte Christoph Salzig den Stand der Verlagsbranche in Horizont.net unter dem schönen Titel “Die Chroniken von Naja”:
„Da kommen gut zwanzig Jahre nach den ersten verlegerischen Gehversuchen im Netz Experten aus den USA, um deutschen Verlegern zu erklären, dass sie mutiger und investitionsfreudiger sein sollen. Und wie fällt die Reaktion der Verleger aus? – Naja, wenn wir das mit dem Geld verdienen im Internet nicht hinbekommen, dann muss uns die Politik eben dabei helfen!“
Verlagsbranche 2050

Im digitalen Wandel haben die Verlage, die in der Regel politisch und strategisch durch den
Börsenverein des Deutschen Buchhandels in der Öffentlichkeit vertreten werden, das Zweitverwertungsrecht als CashCow entdeckt. Seitdem (ca. seit den 2000er Jahren) werden sie nicht müde, die existenzbedrohenden “Ungerechtigkeiten”, “Einnahmeverluste” und “Enteignungen” zu beklagen, die dadurch entständen, dass die digitale Kopie die Photokopie zunehmend ersetzt und schlimmer noch, dass bei den digital vorliegenden Texten der Umweg über den Photokopierer erst gar nicht mehr stattfindet! Es ist verständlich, dass eine Branche deren zentrales Geschäftsmodell durch die Digitalisierung bedroht ist, versuchen muss, ihre Wertschöpfungsketten zu schützen. Allerdings ist der digitale Umbruch gerade in diesen Branchen übermächtig, als Fallstudien können hier die Musikindustrie, die Zeitungsbranche und die TV-Anbieter dienen. Das eine Suchmaschine zum Musik-Hub geriert, Zeitungen als Video-Apps rüberkommen und ein Buchhändler zum erfolgreichen TV-Broadcaster avanciert wundert uns als Konsumenten nicht mehr wirklich, für traditionelle Geschäftsmodellstrategien bedeutet es allerdings eine Katastrophe. Gerade für die mittleren und kleinen Verlage sind diese Entwicklungen existenzbedrohend und sie versuchen mit halbherzigen Versuchen zur Plattformbildung (siehe Digitaler Semesterapparat) und Mikropayment (siehe die vorzügliche zweiteilige Analyse von Florian Sprenger und Sebastian Gießmann) die erfolgreichen Geschäftmodelle “der Großen” zu imitieren. Allerdings besitzen sie größtenteils weder das Gespür noch die Cleverness, noch das notwendige immense Kapital in diesem Spiel wirklich mitzuspielen.

Die Autorinnen und Autoren sind gefragt!

Es ist abzusehen, dass sich in den kommenden Monaten die Auseinandersetzung um die Reform des Urheberrechts zuspitzen wird. Den Verlagen läuft jetzt die Zeit weg: Auch konservative Politiker*innen scheinen heute immer weniger geneigt, sich dem Vorwurf des digitalen Schleichgangs auszusetzen. Gleichzeitig beweist jeder Monat, den sich die Auseinandersetzung hinzieht, dass die Verlage eben doch nicht reihenweise über den Jordan gehen, schließlich werden sie ja auch jetzt für die Zweitnutzung vergütet.
Lösen können meines Erachtens nach den Konflikt langfristig nur die Autorinnen und Autoren aus Bildung und Forschung. Sie können im Prinzip nur gewinnen: Die eigenen Arbeiten zu fairen Bedingungen veröffentlichen, wissenschaftliche Ressourcen einfach recherchieren und nutzen und mit Hilfe der Prinzipien der Transparenz, Offenheit und des Teilens die Qualität sichern. Ändern die Autorinnen und Autoren ihre Praxis wissenschaftlichen Publizierens immer mehr in Richtung freien Zugangs und offener Lizenzen, werden sich auch die Verlage schneller nach neuen Geschäfstmodellen umsehen müssen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Back To Top