Digitaler Semesterapparat – PDF-Schleuder und Einstieg ins E-Learning
Die Nutzung digitaler Texte in der Hochschule ist in den letzten Jahren stetig gewachsen und gehört zu einem der meistgenutzen Elemente von E-Learning im basalen Sinne. Gescannte Textauszüge, als PDF verfügbare Artikel und Dokumente, Vortragsfolien, Arbeitsmaterialien und Skripte wurden immer mehr online zur Verfügung gestellt, meist mittels einer E-Learning-Plattform wie Moodle oder OLAT. (siehe die Zahlen der Moodle-Nutzung an der Uni-Potsdam) Solche digitalen Semesterapparate werden in der mediendidaktischen Diskussion zwar auch schon mal despektierlich als “PDF-Geschubse”, die zugehörige Technologie als “PDF-Schleuder” bezeichnet, sie bilden aber vielfach auch den einfachen Einstieg in das E-Learning. Den Satz ‘Bisher habe ich nur Dokumente zur Verfügung gestellt, jetzt bin ich in den Workshop gekommen um zu sehen, wie ich mit E-Learning mehr Kommunikation und Kooperation fördern kann’ kennen wohl alle, die solche Workshops anbieten. Die Bereitstellung, Archivierung und Bearbeitung von digitalisierten (Text-)Materialien stellt einen unmittelbar einsichtigen Nutzen der Digitalisierung dar und bietet neue Möglichkeiten, wie z.B. die kooperative Annotation von Texten. Es ist “Digitalisierung at her best” die sich hier in den letzten Jahren entwickelt hat aber, es wurde in den letzten Monaten in der Auseinandersetzung um den Unirahmenvertrag (Zusammenfassung hier) auch deutlich, wie wenig belastbar die rechtlichen Grundlagen und wie unklar die Zukunft dieses Fortschritts ist.
Zurück in die 90er? – Das ist die falsche Frage!
Das Worst-Case-Szenario im Herbst hieß: „Digitale Texte dürfen nicht mehr online z.B. über die Lernplattform verteilt werden!“ Eine riesige bundesweite Löschaktion drohte. In vielen Kommentaren und Stellungnahme tauchte dann das Bild von der „Rückkehr in die 90er“ auf, in der
Studium und Wissenschaft ihre Ressourcen weitgehend mit Bibliothek und Fotokopie managten (siehe hier, hier und hier ). Die Wiederkehr dieser Situation als ein drohendes Szenario zu beschwören, zeigt meines Erachtens, dass die Ursachen und die Auswirkungen der jetzigen Auseinandersetzung noch nicht weitgehend genug begriffen wurden.
Die Ursache dieser Entwicklung liegt eigentlich auf der Hand: Die Digitalisierung macht zum Einen die Herstellung einer eins-zu-eins-Kopie eines digitalen Textdokuments so einfach wie noch nie und zum Anderen ist die Verbreitung dieser Dokumente mit Hilfe sozialer Netzwerke, Cloud-Diensten und anderen Online-Plattformen ein Klacks. Deutlich ist auch, das dies für Autoren und Verlage – sagen wir mal: der aktuellen SPIEGEL-Beststeller-Liste – eine ernsthafte Bedrohung der Einnahmen darstellen könnte. Man sollte sich jedoch eines klar machen: Computer und Internet sind per se „Kopiermaschinen“: Jedes Dokument, jede Datei die einmal im Netz und auf einem Rechner ist, ist potentiell kopier- und verteilbar. Die technischen Lösungen die dies verhindern sollen (das „Digital Right Management“ – DRM) hatte noch nie die Reife erlangt, dass sie ein wirkliches Hindernis für die Verbreitung von Inhalten darstellten, die einmal digitalisiert worden sind. Eine Tatsache, die sich die Musikindustrie in einem mühsamen und teuren Lernprozess angeeignet hat.
Scannen ist das neue Kopieren. Die Nutzung digitaler Dokumente nach dem Kontrollverlust
Was wird also geschehen, wenn die Verlage sich an überkomme Geschäftmodelle klammern? Die AutorInnen und LeserInnen werden sich komplementär dazu verhalten und werden die neuen Technologien nutzen, um die Restriktionen zu umgehen:
- Scannen ist heute kein technischer Aufwand mehr: Dazu reicht ein Smartphone und ein bischen Software. Zur Verbreitung einmal digitalisierter Dokumente siehe oben.
- Es wird sich das jetzt schon florierende System der sogenannten Schattenserver weiter verbreiten. Das sind Sammlungen von digitalen Dokumenten, die illegalerweise frei verfügbar gemacht werden. Die wachsende Community trägt zum wachsen der Sammlungen bei. Die Frontfrau des Schattenservers Sci-Hub, Alexandra Elbakyan wurde im Jahr 2016 von Nature zu einer der einflussreichsten Persönlichkeiten in der Wissenschaft gekürt.
- Es wird die Idee des Open Access gestärkt. Das ist sowieso sinnvoll aber angesichts einer blockierenden Verlagsbranche wird die Suche nach alternativen Publikations- und Vertriebswegen neue Bedeutung gewinnen.
- Es werden schließlich diejenigen Verlage gestärkt – und das sind im Moment nur die Großen – die bereits eine digitale Strategie und die zugehörige Technologie entwickelt haben. Micropayment-Systeme und das Horten von NutzerInnendaten werden diese Plattformen größer und wertvoller machen.
Das Fazit ist: Das was die (kleinen und mittleren) Wissenschaftsverlage verhindern wollen, befördern sie mit ihrer Politik. Für die NutzerInnen wird es evtl. etwas unbequemer aber sie werden Wege finden an die Ressourcen zu kommen. Die Autorinnen und Autoren, denen es insbesondere um publizistische Sichtbarkeit, Teilhabe am fachwissenschaftlichen Diskurs und einfache Verfügbarkeit des wissenschaftlichen State-of-the-Art geht, werden sich ebenfalls andere Wege suchen, ihre Inhalte öffentlich zu machen. Was wir aber auf keinen Fall mehr sehen werden, sind Schlangen vorm Kopierer und die Wiederkehr der Nachmittage im Copyshop – was ein Glück!