Der Stifterverband befragt regelmäßig die Hochschulleitungen in Deutschland zu deren Einschätzung der Großwetterlage in ihren Einrichtungen. Die Veröffentlichung vor wenigen Tagen, die sich auf das Jahr 2021 bezieht, zeigt ein insgesamt positives Bild aber auch einen deutlichen Knick in der Bewertung der eigenen Lehre. Die Autor*innen des Berichts vermuten dass es an der Umstellung auf Online-Lehre liegen könnte, was aber im Gesamtbild wenig plausibel erscheint.

Der pandemiebedingte Wechsel […] scheint hier nicht folgenlos zu bleiben.

Hochschulbarometer 2022, S. 18

Für das jährlich durchgeführte Hochschulbarometer werden Hochschulleitungen darum gebeten, auf die Frage „Wie schätzen Sie die nationale Wettbewerbsfähigkeit Ihrer Hochschule im Vergleich mit den anderen deutschen Hochschulen in der Lehre ein?“ auf einer fünfstufigen Likert-Skala von „gut“ bis „schlecht“ zu bewerten. Im Berichtsband wird der Anteil der Antworten, die „gut“ oder „eher gut“ lauten als Prozentzahl ausgewiesen. Dieser Anteil entwickelt sich von 2019 (82,3%) zu 2020 (84,0%) positiv, um für das 2021 auf 73,8% zu sinken. Bei den staatlichen Universitäten fällt das noch deutlicher aus, hier sinkt der Wert von 78,0% in 2020 (2019: 80,6%) auf nur noch 63% für das Jahr 2021. Für die Autor*innen des Berichts drängt sich der Verdacht auf, dass dies – natürlich – an der Online-Lehre liegen müsse.

„Am auffälligsten ist dabei die Bewertung der Lehre: Im Vergleich zum Vorjahr sinkt der Wert um mehr als 10 Prozentpunkte. […] Der pandemiebedingte Wechsel von Präsenzlehre auf digitale und inzwischen oft hybride Lehre scheint hier nicht folgenlos zu bleiben.“
Burk & Hetze (2022) Hochschul-Barometer 2022, S. 18

Das vage ’scheint nicht folgenlos zu bleiben‘ in der Veröffentlichung des Stifterverbands ist für Forschung und Lehre (F&L) allerdings zu schwach. In ihrer Mitteilung auf der Webseite heisst es deswegen: „Die Organisatoren der Umfrage begründen dies mit dem Wechsel von analoger zu digitaler und hybrider Lehre.“

In einem Deutschlandfunkinterview am 06.12. weist der Autor Pascal Hetze von Stifterverband dann auf Nachfrage der Moderatorin allerdings darauf hin, dass in diese Selbsteinschätzung der Hochschulleitungen neben den Formaten der Lehre diverse Faktoren, wie Anzahl der Lehrenden und Verwaltungsstrukturen eingehen. Einen Zusammenhang mit digitaler und hybrider Lehre vermag er nicht herzustellen:

Pascal Hetze: „In diesem Jahr konnten wir dagegen [einen] relativ starken Einbruch bei der Bewertung der Wettbewerbsfähigkeit der eigenen Lehre beobachten. Möglicherweise also doch noch ein paar Folgen der Pandemielage und der Umstellung von der analogen Lehre auf die digitale Lehre und jetzt in die hybride Lehre.“ […]

DLF: „Wenn sie sagen, die Hochschulen sagen, ihre Wettbewerbsfähigkeit in der Lehre sei eingebrochen. Was meinen Sie damit genau?“

Pascal Hetze: „Wir fragen relativ allgemein, wie die Hochschulen die Wettbewerbsfähigkeit ihrer eigenen Lehre bewerten, da stecken natürlich Lehrkapazitäten dahinter, da stecken Lehrformate dahinter, die Frage, wie weit sie mit der Digitalisierung umgehen können, ob sie genug Lehrende und anderes Personal haben, das die Lehre in der Verwaltung unterstützt. Das ist also eher eine, ich sag mal, etwas globale Frage. In einzelnen anderen Befragungen sind wir auch mal ins Detail gegangen, in dieser letzten Befragung bei diesem Thema allerdings leider nicht.“

Deutschlandfunk Campus & Karriere am 06.12.

Festgehalten werden kann also zunächst mal, dass die Befragungsergebnisse nicht zeigen, dass mehr Hochschulleitungen ihre Lehre weniger gut bewerten, weil „digitale“ (gemeint ist „online“) oder „hybride“ Lehre eingeführt wurden. Und auch im zeitlichen Verlauf ist das nicht plausibel. Die Befragung wird jeweils zum Jahreswechsel, zwischen Dezember und Februar durchgeführt, die Einschätzungen beziehen sich also auf das jeweils zurückliegende Jahr – aktuell auf das Jahr 2021. Im ersten Jahr der Pandemie, mit flächendeckenden Lockdown und vollständigem Wechsel auf Online-Lehre ist die Einschätzung der eigenen Lehre positiver ausgefallen als im „analogen“ Jahr 2019. In den staatlichen Hochschulen setzte sich damit ein Trend fort, der seit 2018 angehalten hatte und der trotz der Pandemie offensichtlich nicht gebrochen wurde. Das lässt sich gut an der Entwicklung der Durchschnittswerte des Indikators sehen, die sich auf dem Datenportal des Stifterverbands abrufen lassen. Betrachtet man diese Darstellung, lässt sich außerdem sehen, dass der Rückgang insgesamt in etwa das Niveau der Vor-Corona-Zeit erreicht.


Quelle Stifterverband Datenportal

Jede dritte Vorlesung in Zukunft digital

Hochschulbarometer 2021, S. 20

Es ließe sich also auch folgende, ebenfalls spekulative, alternative Interpretation in Anschlag bringen: Insgesamt haben die Hochschulen in den letzten Jahre mehr in die Entwicklung der Lehre investiert. Im ersten Jahr der Pandemie war bei den Hochschulleitung ein gewisser Stolz verbreitet, die Krisensituation dank der Digitalisierung ganz gut bewältigt zu haben, gepaart mit einem gewissen Erstaunen über die eigene Adaptionsfähigkeit an die digitalen Möglichkeiten. Diese Stimmung im Jahr 2020 lässt sich an dem Hochschulbarometer 2021 ablesen. Hier schätzten die Hochschulleitungen ein, dass in Zukunft mehr als jede dritte Sprechstunde, Vorlesung und Weiterbildungsveranstaltungen in „digitalem“ (gemeint ist wohl auch hier „online“) Format stattfinden wird (Seite 20), es gab also eine positiven Einschätzung der digitale Krisenbewältigung in 2020 und hohe Erwartungen an die zukünftige Verwendung der eingeführten Formate. Vor diesem Hintergrund kann das Zurückfallen vom „Gipfel der überzogenen Erwartungen“ an die eigene Wettbewerbsfähigkeit der Lehre auf ein Vor-Corona Niveau vielleicht eher auf einer selbstkritischen Einschätzung zur eigenen Innovationskraft beruhen, als auf den Merkmalen digitaler Lehre.



Quelle: Hochschulbarometer 2021, Seite 20

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