Von Energiesparzielen zu Kostensparzielen zur Online-Lehre. Beispiel Hochschule Koblenz.

Die Hochschulen wollen Energie sparen, teilweise verstehen sie dies als ihren Teil zur Bewältigung der Gaskrise, teilweise wird ihnen das von den Landesregierungen auferlegt und es wird ihnen bange vor den kommenden Stromrechnungen. Schnell drängte sich die Frage auf, ob das bedeutet, dass sich die Einrichtungen sich auf einen „Energie-Lockdown“ vorbereiten müssen. „Rheinland-Pfalz und Bayern zum Beispiel haben ihren Hochschulen mitgeteilt, dass sie erwarten, dass dort im Winter 15 Prozent Energie gespart werden. Das sei im Grunde eine Anordnung, sagt der Bildungsexperte Armin Himmelrath. In Baden-Württemberg seien sogar 20 Prozent ausgegeben worden. Ohne die Hochschulen (teilweise) dichtzumachen, sei das kaum zu schaffen.“1

Um die von öffentlichen Einrichtungen erwartete 15% Energieeinsparung zu erreichen, werden wir in der Zeit vom 4. Dezember 2022 bis 8. Januar 2023 die Vorlesungen als reine Online-Vorlesungen anbieten.((Energiesparen an der Hochschule Koblenz | hs-koblenz.de. Abruf: 17.11.2022))

Und so geschieht es nun auch. Als eine der ersten hat die Hochschule Koblenz, mit rund 10.000 Studierenden, Ende Oktober angekündigt: „An der Hochschule Koblenz werden die Vorlesungen in der Zeit vom 4. Dezember 2022 bis 8. Januar 2023 als reine Online-Veranstaltungen angeboten […] In der Corona-Zeit sei viel Erfahrung mit digitaler Lehre gesammelt worden. Viele Studenten seien in den Wochen vor Weihnachten ohnehin bei ihren Eltern. Wer aber zu Hause kein gutes WLAN hat oder in einer WG mit Krach wohnt, findet bei uns weiterhin Lernplätze, […] 2 In der sogenannten „Digitalen Phase“ sollen so wenige Räume wie möglich genutzt werden, also vor allem Lehrräume, Labore, Praxisräume und Verwaltung. Die Nutzung von Bibliotheken, Mensen und andere Bereiche soll eingeschränkt werden. Die Lehre (gibt es eigentlich an der HS Kopblenz nur Vorlesungen?) soll im Distanzmodus stattfinden.

Widerspruch und Protest: Kosten nicht auf Studierende abwälzen und wichtige Einrichtungen offen lassen

Am 09.11. meldet sich die Junge Union Koblenz zu Wort. Sie kritisieren vor allem, dass die Energiekosten auf die Studierenden angewendet werden. Außerdem wird kritisch angemerkt, dass es keinerlei Ausnahmen geben solle, sprich Labore, Praktika und praktische Übungen fallen auch unter das Sparverdikt. „Die Energiekosten der Hochschule fallen weg, aber die Studierenden und Lehrenden haben erhöhte Energiekosten,…3 Auch bei den GRÜNEN wird argumentiert, das eine Schließung der Uni den Energieverbrauch ggf. gar nicht senkt, wohl aber die Kosten auf die bereits besonders belasteten Studierenden und Mitarbeitenden umverteilt werden sollen. „Die Hochschule hat auch eine soziale Verantwortung. Gestiegene Kosten für Lebensmittel und Energie liegen bereits bei den Studierenden. […] Eine Schließung der Hochschule würde jedoch gesamtgesellschaftlich voraussichtlich zu kaum Einsparung führen,…4

Es ist nicht unsere Aufgabe, für eine verfehlte Energiepolitik aufzukommen.((16.11.2022 | Studenten demonstrieren gegen Schließung der Hochschule Koblenz | Rhein-Zeitung (Paywall)))

Ebenfalls am 16.11. protestieren ca. 200 Studierende auf dem Uni-Vorplatz, die Botschaft: „Es ist nicht unsere Aufgabe, für eine verfehlte Energiepolitik aufzukommen.” Die Forderungen der Studierenden richten sich darauf, die Einschränkung bei Bibliotheks- und Mensabetrieb zurückzunehmen. An einer Umfrage, an der sich 550 Studierende beteiligten, hätten sich 60% gegen die Onlinelehre im Dezember ausgesprochen5 Inzwischen wird der Fall Koblenz überregional verhandelt.6 Peinlich auch, dass sich die U15-Vorsitzenden Krausch und Hoch noch im Oktober von J.M. Wiarda das Versprechen abnehmen ließen, „Die Universitäten bleiben offen.7 und Bildungsministerin Stark-Watzinger per ZEIT-Interview im August verlautbarte „Hochschulen müssen offen bleiben8

Das Narrativ von der „krankmachenden Online-Lehre“

Die flächendeckende Schließung von Hochschulen in der Corona-Semestern konnte, ein wenig auch zur Verwunderung der Akteur*innen selber, mit Hilfe der digitalen Technologien – was die Lehre betrifft – einigermaßen abgefedert werden. Die vielen Befragungen, Analysen und Erfahrungsberichte deuten alle in eine gemeinsame Richtung: Der Zwang sich mit den digitalen Medien auseinanderzusetzen hat den meisten Studierenden, Lehrenden und Mitarbeiter*innen aus Einrichtungen und Verwaltung, deutlich gemacht, welche Möglichkeiten darin stecken, Hochschulbildung flexibler, interaktiver, individueller und internationaler zu gestalten. Ebenso ist es überdeutlich geworden, dass soziales Miteinander, direkter Kontakt und alle „menschengebundenen“ Arbeits- und Kommunikationsformen Teil der wissenschaftlichen Ausbildung und ein Grundbedürfnis sind, das in der Hochschule einen festen Platz braucht. Auf dem Höhepunkt der Lernkurve fanden die Beteiligten sogar zum Konsens zusammen, das es nicht das mediale Format sei, das über die Qualität von Lehre entscheidet und das auch das praktische Lehrgeschehen mit digitalen Medien sinnvoll ergänzen werden kann. Bedenken und Ignoranz gegenüber digitalen Medien in der Hochschulbildung waren deutlich gesunken. Diese Stimmung kippte dann allerdings irgendwie um – meiner Beobachtung9 nach ab dem Sommer 2021 und im Nachgang dann im vermurksten Wintersemester 2020/2021, dass mit einen „Zurück in Präsenz“ startete, dann von der 4. Corona-Welle ausgebremst wurde10 und schließlich im Kabelsalat und Beschaffungswahnsinn einer nur unvollständig umsetzbaren „hybriden Lehre“ unterging.

Studierende leiden grundsätzlich unter digitaler Lehre.11

Das Narrativ von der „krankmachenden Online-Lehre“ hat sich inzwischen durchgesetzt. Online-Lehre ja, aber nur mit tiefem Bedauern, weil „…unumgänglich. Im Präsenzbetrieb sei die Energieeinsparung nicht zu realisieren. [Der Präsident der Hochschule Koblenz] sei selbst nicht begeistert davon, müsse die Vorgabe des Landes aber umsetzen. Grundsätzlich stehe er aber zur Präsenzlehre.“ Der SWR-Bericht kann dann auch nicht darauf verzichten am Ende noch mal zu behaupten: „Studierende leiden grundsätzlich unter digitaler Lehre. Nach Angaben der Studierendenvertretungen seien die Studierenden in den letzten Jahren von vielen Problemen, wie Lern-Schwierigkeiten und sozialer Isolation, betroffen gewesen, vor allem durch die Corona-Lockdowns. Viele litten noch immer darunter. Die psychischen Herausforderungen, die durch einen Onlinebetrieb entstehen könnten, seien nicht zu unterschätzen.11 Bei der oben schon erwähnten JU Koblenz paart sich diese Haltung dann noch mit markigen Zuweisungen wie „Die Studierenden gehören an die Hochschule und nicht vor den Laptop.“12.

Was wir beobachten, ist die Zuschreibung eines Arguments, dass die Beteiligten selber nur am Rande verwenden und schon gar nicht in den Vordergrund stellen. Die Studierenden und Sprecher*innen wenden sich zu allererst gegen das Zuschieben von Heizkosten, gegen das Schließen eines (ihres!) sozialen Raums, gegen die Einschränkung von Versorgungsangeboten und Zugang zu Orten des Lernens. Die Belastungen der Online-Lehre sind Thema aber die digitale Lehre wird richtigerweise nicht als Ursache der Probleme verstanden. Die Geschichte von der krankmachenden Online-Lehre taugt aber immer, um Verantwortungszuweisung und eigene Positionen dramatisch zu unterstreichen. Oder es dient Zwecken, die sich mir nicht erschließen. Sachdienlich ist es nicht, denn dieser Logik folgend wäre es besser, gar keine Lehre zu machen anstelle von Online-Angeboten. Dazu gehört es irgendwie auch, dass nach wie vor ein tolles begriffliches Wirrwarr herrscht. Mal ist von „Online-Vorlesungen“, mal von „digitalen Unterricht“ die Rede. Dann wieder vom „digitalen Vorlesungsbetrieb“, wahlweise „digitalen Lehrbetrieb“. Es scheint als wäre die Bezugnahme auf „Präsenzlehre“ (die in Wirklichkeit auch unterbestimmt ist) schon deswegen wichtig, um wenigstens eine sprachlichen Rückzugsort zu haben.


  1. 07.09.2022 | Gaskrise: Möglicher Energie Shutdown an deutschen Unis | DlfNova []
  2. 24.10.2022 | Wie sich die Energiekrise auf die Hochschulen in RLP auswirkt – SWR Aktuell []
  3. 09.11.2022 | Studierende gehören in den Hörsaal, nicht vor den Latop []
  4. 16.11.2022 | Grüne fordern Umdenken der Hochschule Koblenz – Grüne Koblenz []
  5. v. Hagebölling, M. (2022) ‘Hochschule: 200 Studierende demonstrieren Digitalbetrieb im Dezember sorgt für Unmut’, Rhein-Zeitung, 17.11.2022, S. 15. []
  6. 21.11.2022 | Wegen Sparmaßnahmen: Hochschule Koblenz schränkt Lehrbetrieb ein | faz.net, 22.11.2022 | Energiekrise zwingt Hochschulen zum Sparen: Lehrveranstaltungen wieder digital | dlf-kultur, 23.11.2022 | Hochschulen: Hochschule Koblenz: Energiesparen beschäftigt den Landtag | ZEIT ONLINE []
  7. 10.10.2022 | „Die entscheidende Botschaft ist: Die Universitäten bleiben offen“ – Wiarda-Blog []
  8. 25.08.2022 | Bettina Stark-Watzinger: „Die Bildungsschere in Deutschland öffnet sich“ | ZEIT ONLINE []
  9. 19.12.2021 | Das Präsenz-Gen in der Hochschullehre | joerghafer.de []
  10. 20.01.2022 | Face (or not) to Face? | joerghafer.de []
  11. 16.11.2022 | Universität und Hochschule in Koblenz müssen Energie sparen – SWR Aktuell [] []
  12. 09.11.2022 | Studierende gehören in den Hörsaal, nicht vor den Laptop []

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